Hey, Alter!
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Konsequenter Rückbau: Die Effekte der Digitalisierung in den Innenstädten sind nicht mehr heilbar!

In Mönchengladbach wird gerade viel über die Zukunft der Innenstädte nachgedacht. Verändertes Kaufverhalten durch Online-Angebote, mangelnde Kaufkraft, fehlende Aufenthaltsqualität der Innenstädte – all das wird debattiert. All das ist auch richtig und hat Eingang in den Koalitionsvertrag der Ampel gefunden.

Aber wir sollten genauer hinschauen: Mönchengladbach hat in den vergangenen zehn Jahren das gemacht, was sehr viele Städte in Deutschland gemacht haben: wir haben in unserer Stadtentwicklung die Veränderung des Konsumverhaltens durch den Online-Handel konsequent ignoriert. In Mönchengladbach, wie auch an anderen Orten in Deutschland, ist Überkapazität an Einzelhandelsfläche entstanden. Im Vertrag der Ampel (PDF) heißt es: „Die Umwandlung von leerstehenden Gewerbeimmobilien in Wohnraum soll aktiv gefördert werden.“ Und an andere Stelle ist die Rede von Umwandlung in Gastrofläche. Schaut man an, was die Digitalisierung mit uns als Gesellschaft macht, dann kann man den politisch Verantwortlichen nur wünschen, dass sie diesen Punkt konsequent und mutig umsetzen. Die digitale Transformation wird nicht vor unseren Innenstädten halt machen, wir brauchen neue Ansätze in der Stadtentwicklung.

Ein Blick auf die Fakten

Die Einzelhandelsfläche ist laut Handelsverband Deutschland seit 2010 um rund drei Prozent gestiegen (HDE Report 2020, PDF, Seite 26). Nicht viel. Aber wenn man bedenkt, dass der Umsatz des Online-Handels/ecommerce (PDF) in diesem Zeitraum um 193 Prozent gestiegen ist, dann ist das aberwitzig. In Mönchengladbach war diese Entwicklung noch aberwitziger: Im März 2015 wurde das Einkaufszentrum Minto eröffnet – ein Riese mit mehr als 100 Geschäften auf 26.000 Quadratmetern. Damit wurde in der Stadt die Fläche für den Einzelhandel sogar deutlich ausgebaut – die alte Theatergalerie hatte 8.000 Quadratmeter, der angrenzende Lichthof hatte 2.200 Quadratmetern; damit wurde die Einzelhandelsfläche an dieser Stelle um 155 Prozent erweitert!

Es mag der Mode der Zeit geschuldet sein, dass das damals so beschlossen wurde. Vielleicht dachten einige, die Attraktivität des Mintos werde Menschen veranlassen, nach Mönchengladbach zu kommen, um dort einzukaufen – ganz falsch war diese Annahme auch nicht. Laut einer Passanten-Frequenzzählung des Immobiliendienstleisters Jones Lang LaSalle aus dem Jahr 2017 stieg die Zahl der Passanten auf der Hindenburgstraße auch deutlich – aber gegen die Effekte des Online-Handels hatte auch diese Entwicklung keine Chance: Es kamen zwar mehr Menschen, aber sie trugen ihr Geld schnurstracks für gezielte Einkäufe ins Minto. Anderes wurde online erworben oder gar nicht, weil nicht ausreichend Kaufkraft da war. So blieb für die anderen Händler nicht viel übrig. Der heutige Leerstand in den Zentren ist ein schreiendes Zeichen dieser Fehlentwicklung.

Wir müssen langsam zwei Dinge verstehen

Erstens, unsere Stadt hat eine relativ schwache Kaufkraft – während die Kaufkraft am Mittleren Niederrhein laut IHK-Studie 2020 bei rund 24.000 Euro liegt, kommt Mönchengladbach mal gerade auf 21.700 Euro.

Zweitens: Der Online-Handel wird auch in Zukunft weiter wachsen – in allen Bereichen. Der Anteil liegt heute bei zehn Prozent – Prognosen gehen von 13 bis 18 Prozent in 2025 – ich habe keine Studie gefunden, die von einem gleichbleibenden Anteil oder gar von einer Verminderung ausgeht.

Diese zwei Punkte können wir in der Stadtentwicklung nicht ignorieren! Tun wir aber: Wer sich beispielweise nur die aktuellen Projekte in der Mönchengladbacher Innenstadt anschaut (19 Häuser, Neubau an der Steinmetzstraße, Umbau des ehemaligen Buchhandels Bolze / Wackes auf der Hindenburgstraße, Neubau der Markthalle), der sieht was? Genau: Alles mehr oder weniger Flächen für den Einzelhandel.

Wir müssen uns beim Thema Innenstadtentwicklung in Mönchengladbach von der Idee verabschieden, dass neue, schönere Flächen den Einzelhandel wiederbeleben werden. Im Gegenteil: Wir verschärfen das Problem, weil mit jedem neuen Quadratmeter die (kaufkraft-)Decke für alle Händler kürzer wird. Hören wir damit auf, die Rettung des Einzelhandels mit der Rettung der Innenstädte gleichzusetzen. Das sind völlig unterschiedliche Dinge, schreibt ein Autor in einer Kolumne des Digitalmagazins t3n zu dem Thema. „Die Einkaufsstadt ist tot, aber die Innenstadt kann davon unabhängig neu belebt werden.“ Reduzierte Flächen, angepasst an die Effekte des Online-Handels und der Kaufkraft, würden allen Einzelhändlern in Mönchengladbach und Rheydt in Zukunft helfen und damit auch der Stadtentwicklung.

Leicht gesagt, aber wie machen?

Ein Anfang wäre: Flächen in Besitz der Stadt werden nicht mehr als Einzelhandelsflächen vermietet! Siehe Vitus-Center, siehe Karstadt-Gebäude. Nur eine Reduzierung der Fläche wird zu einer Erholung beim Thema Leerstand führen. Die politisch Verantwortlichen handelt jetzt hoffentlich konsequent: Mit Teilen der Förderung aus dem Landesbauministerium könnte ein Rückbauprogramm aufgelegt werden, das Einzelhandelsflächen einer neuen Nutzung zu führt: Sei es in Büroflächen, um Arbeiten in der City zu ermöglichen, oder um Flächen für Kunst und Kultur zu schaffen oder einfach Wohnen in der City wieder attraktiv macht. Weitere Konzepte kann man von anderen Kommunen kopieren.