Hey, Alter!
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Diesem Ende wohnt ein Zauber inne

Eindrücke von Susanne Feldges bei einem Besuch im März 2022

Mönchengladbacher flanieren durch die duftende Blütenpracht des Urban Gardenings. Fachkräfte eines naheliegenden Betriebs reparieren im Maker Space mit Studenten einen Roboterarm. Im Textillabor herrscht konzentrierte Stille bei der Erforschung der neuesten Biofasern. Schüler testen ihre mit Dozenten der Hochschule entwickelte Software zur Steuerung des Lego-Fließbandes. In der Innovation-Hall präsentiert ein Gründer wortgewaltig seine Idee interessierten Investoren. Ein ganz normaler Tag im Mönchengladbacher Wissenscampus. Wie er sein könnte, wenn alle Akteure beherzt die ersten Schritte gehen.

Einen Schritt auf dem Mönchengladbacher Weg zum Wissenscampus machte der Vorstand von nextMG dieses Frühjahr bei einem Spaziergang über das seit über vier Jahren leerstehende Areal. Ein Besuch, an dem der Vorstand mit diesem Bericht alle Interessierten teilhaben lassen will. Die Verwandlung des alten Polizeipräsidiums in den sogenannten Wissenscampus ist eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Entwicklungsprojekt der Stadt. Die Substanz ist nach wie vor inspirierend. Noch.

Denn der Zahn der Zeit, der seit dem Wegzug der Ordnungshüter am alten Polizeipräsidium nagt, ist nicht zu übersehen. Die Umsetzung der Pläne für den Wissenscampus wird von Monat zu Monat schwieriger. Leer stehende, ungeheizte und ungenutzte Gebäude haben die Unart, nicht linear zu verfallen, sondern exponentiell. Sobald ein gewisser Grad an Verfall erreicht ist, schießen die Kosten für die Sanierung in schwindelerregende Höhen. Auf dem verlassenen Gelände des ehemaligen Polizeipräsidiums kommen einige Sonder-Probleme hinzu

Kupferdiebe haben dem gesamten Areal und allen Gebäuden ihre zentrale unterirdische Wasserversorgung gestohlen, kaum dass die Polizei ausgezogen war. Fein säuberlich haben sie die großen Wasserleitungen abmontiert, die alle Gebäude versorgten. Die Aufhängungen der Rohre und das in einem Kellerraum gesammelte Isoliermaterial zeugen davon, wie organisiert die Verbrecher vorgegangen sind. Zum Glück wurden nach diesem und anderen unerwünschten Besuchen, schnell Fenster vernagelt. Doch Wasser ist seitdem nicht mehr durch die Rohre und sanitären Einrichtungen geflossen.

Auch die zentrale Heizungsanlage ist seit dem Auszug der Ordnungshüter außer Betrieb. Was hier wohl in Betriebszeiten eher dem geschmierten Maschinenraum eines Hochseedampfers glich, wirkt heute wie eine angestaubte Ruine aus Blech. Früher soll sie mit der Hochschule verbunden gewesen sein. Ob diese Verbindung wohl reaktivierbar ist? Viel fraglicher ist, ob die Rohre nach so vielen Jahren ohne Belastung einer Reaktivierung standhalten würden. Oder wäre das die Chance, das Areal gebäudeweise und dann gleich mit erneuerbaren Energien wieder in Betrieb zu nehmen? 

Es konnte fast nicht ausbleiben, dass die Kraft des Wassers bei einem ungeheizten und leer stehenden Gebäude zuschlägt. In allen Häusern und leider auch am Riegel an der Theodor-Heuss-Straße sind Wasserschäden offensichtlich. Die Fallrohre der Regenrinnen scheinen undicht zu sein. An den entsprechenden Außenwänden platzt der Putz ab. Auch heben sich in den Gebäuden viele Böden. Doch viele Büroräume des alten Polizeipräsiums sind in einem erstaunlich guten Zustand. Genügen Schönheitsreparaturen, um sie zu nutzen?

Eine außergewöhnliche Schönheit sind die Remisen, in denen einst die Fahrzeuge parkten. Könnte nicht gerade ihre Größe nutzbar sein? Was wäre mit Foodtrucks?

Eine Augenweide sind die gut erhaltenen Treppenhäuser in allen Gebäudeteilen, die den Charme der Historie verströmen. Fast hört man die Schritte der früheren Nutzer und Besucher.

Die Außenflächen geben mit ihren nach wie vor erstaunlich gepflegt wirkenden Grünflächen viel Raum für Veranstaltungen unter freiem Himmel.

Bei Regen böten die Remisen und die Sporthalle spontane Ausweichflächen, wobei die große Sporthalle mit ihrer Holzgetäfelten Decke eine echte Schönheit ist. Sport, ein gutes Stichwort. Beim Besuch der profan L und K genannten Gebäude schlagen selbst die Herzen von Sportmuffeln höher.

Jede einzelne Bohle des massiven Fischgrät-Parketts berichtet knarzend von ungezählten Trainingsstunden im Polizeisportverein.

Und dann sind da die vielen Erinnerungsstücke, verewigt auf den Wänden im Gebäude L.

Die Größe des Areals ist beeindruckend. Genauso beeindruckend, wie das Konzept das unter der Leitung des heutigen Wissenscampus e.V. erarbeitet wurde. Völlig zu Recht hat die damalige Landesregierung dieses als förderungswürdig eingestuft und entsprechende Fördermittel zugesagt. Doch wie geht es jetzt weiter? Muss Mönchengladbach auf diesen Förderbescheid warten, um eben diese Gelder im zweistelligen Millionenbereich nicht zu gefährden? Klar ist, dass ein weiteres Jahr des Wartens die Substanz so stark schädigen wird, dass die Berechnungen wie Seifenblasen platzen werden. Schon jetzt werden die täglich steigenden Baukosten die Realisierung aller Pläne schwer machen.

Der Gedanke ist schon jetzt heftig, Mönchengladbach müsste die Erschließung und Sanierung in einem Schwung alleine stemmen. Braucht es das denn überhaupt, um beginnen zu können? Können wir nicht Gebäudeweise vorgehen? Das Areal öffnen, um es beispielsweise tagsüber zu bevölkern? Mit Gartenfreunden, die dort ihre Vorstellungen von Urban Gardening abschnittsweise umsetzen dürfen? Mit Food Trucks, die den Studenten auf der anderen Straßenseite nahrhafte Mittagsangebote machen? Ja, auch mit Sicherheitsdiensten, die allabendlich das Areal wieder schließen.


Der erste Schritt ist nicht der schwerste. Es ist nur der, der am meisten Willen benötigt. Bei allen Beteiligten. Damit aus diesem Ende ein Anfang werden kann.